von Jane Kathrein (2007/ Magazin ECHO)
Andreas Fritz macht sich in Zackenberg, Grönland, auf die Suche nach Organismen, die so klein sind, dass man sie mit freiem Auge gar nicht erkennen kann. Und tritt damit in die Fußstapfen eines großen Entdeckers: Julius Prayer.
foto: www.pexels.com
"Der Umgang mit dem Gewehr ist angsteinflößend“, sagt Andreas Fritz. Gefährlich sind in
Grönland nicht die Eisbären, sondern die Moschusochsen. Die Männchen, weil sie
rivalisieren, die Weibchen, weil sie ihren Nachwuchs beschützen. Die Lemminge und
Polarfüchse, die sich zwar auch beinahe täglich vor dem Zelt blicken lassen, sind vor allem
eines: neugierig. So wie Andreas Fritz, der nach seiner Ankunft in Zackenberg schon ganz
„heiß“ auf die Gletscher war, sich aber etwas gedulden musste:
„Von den Gletschern war hier weit und breit nichts zu sehen. Auf den Karten sah alles so nah aus, doch in der Realität mussten wir viele Stunden marschieren, um ins Vorfeld des Fröya-Gletschers zu gelangen.“ Andreas Fritz, Polarforscher.
Marschieren heißt in der Arktis nicht, auf geschotterten Wanderwegen dahintrotten, sondern querfeldein gehen, bepackt mit schweren Kisten, die Zelte und Proviant enthalten, Schmelzwasserbächen ausweichen, den Moschusochsen nicht in die Quere kommen, jeden
Tag einen neuen Weg suchen und da und dort mit einem kleinen Zodiac-Boot einen Fjord
überqueren. Immer die Zeit im Auge zu behalten, um ja vor der hereinbrechenden Flut am
anderen Ufer heil anzukommen. Der zwei Kilometer breite Tyroler Fjord hat seine Tücken.
Die Flut treibt Eisschollen ins Landesinnere und diese machen das Überqueren zum Glücksspiel. Andreas Fritz und seine Expeditionskollegen tragen beim Überqueren wasserdichte Anzüge, in denen man etwa eine Stunde im Eiswasser überleben kann. Der Imster interessiert sich für Mikroorganismen, das sind Lebensformen, die im Eis leben und so mikroskopisch klein sind, dass man sie mit bloßem Auge meist gar nicht erkennen kann.
Der Gletscher lebt.
Was würde es bedeuten, wenn die Eisoberfläche weiter abschmilzt und durch Ablagerungen aus der Atmosphäre „grauer“ wird? Würde es den Stoffwechsel der Eisorganismen beleben? Fragen denen der 26-Jährige in Grönland auf den Grund geht. Dazu entnimmt er am Fröya-Gletscher Eiskerne und Wasserproben, die auf Art und Anzahl der Bakterien und Photosyntheseleistungen der Algen untersucht werden sollen. Die Ergebnisse können mit bereits vorhandenen Daten vom Rotmoosferner, vom Stubacher Sonnblick und einzelnen Gletschern in der Arktis sowie in der Antarktis verglichen werden. Aus Grönland liegen noch keine Daten vor, Andreas Fritz leistet in gewisser Weise Pionierarbeit.
„Die Gletscher sind riesige Ökosysteme und tragen zum weltweiten Kohlenstoffhaushalt bei“, erklärt Birgit Sattler vom Institut für Zoologie und Limnologie an der Universität Innsbruck.
Birgit Sattler betreut im Rahmen des 4. Internationalen Polarjahres mehrere Projekte darunter auch GERMAP, jenes Projekt für das der Tiroler Andreas Fritz und einige weitere Forscher aus Wien in Zackenberg unterwegs sind. „Grönland eignet sich als Untersuchungsregion besonders, weil hier der Vergletscherungsgrad hoch ist und es noch keinen direkten Einfluss durch den Menschen gibt“, sagt Sattler.
Der österreichische Beitrag zum 4. Internationalen Polarjahr (IPY) hätte ursprünglich nach Franz-Joseph-Land führen sollen. Nachdem aber die russische Regierung die Reisegenehmigung verweigert hatte, entschied man sich kurzerhand für das Expeditionsziel Zackenberg. „Grönland ist quasi Neuland“, erklärt Sattler weiter.
Spätzündung
Aber eigentlich müsse man froh sein, dass man in der kurzen Zeit überhaupt eine Expedition verwirklichen konnte, spielt Sattler auf die Probleme im Vorfeld an. Alles andere als geklärt waren nämlich die Zuständigkeiten in Österreich. Schlägt man auf der offiziellen deutschsprachigen Homepage des Internationalen Polarjahres nach, scheint Österreich nicht einmal als teilnehmende Nation auf. „Man fragt sich, ob es Sache der Universität gewesen wäre oder des Ministeriums, eine Homepage einzurichten und die österreichische Polarforschung voranzutreiben“, wirft Sattler ein. In Zukunft will man nichts mehr dem Zufall überlassen und hat vor ein paar Monaten Sattler zur offiziellen Vertreterin Österreichs bei den jährlichen Treffen des Antarktisvertrages benannt.
Tyroler Fjord
Die Forschungsstation Zackenberg liegt in Nordost-Grönland, umgeben von 1300 Meter hohen schneebedeckten Bergen, beinahe direkt am Meer. Die Station wird seit 1997 vom Dänischen Polarcenter für ökologische Forschung und ökologisches Monitoring betrieben und ist nach dem gleichnamigen Berg, der von Julius Payer entdeckt worden war, benannt. Im Rahmen der zweiten deutschen Nordpolarexpedition (1869/ 70) unter Karl Koldewey hat Julius Payer bereits vor seiner Franz-Joseph-Land-Expedition (1872 - 1874) kartographische Aufnahmen der Zackenberg-Region gemacht. Seine Spuren sind allgegenwärtig. Der Fjord, in dem Zackenberg liegt, heißt Tyroler Fjord und ein Gletscher ganz am Fjordende ist mit Pasterzegletscher benannt.
Reste der Schweden entdeckt
Auf die Spuren einer historischen Expedition stößt Andreas Fritz gleich am ersten Tage am Fröya-Gletscher. Beim Aufstieg entdeckt er Bambusrohre, die Reste einer schwedischen Expedition, die in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts durch Grönland streifte. Nach vier Tagen intensiver Feldarbeit kehrt Fritz auf die Station zurück. Der arktische Sommer neigt sich dem Ende und die Temperaturen erreichen bei Nacht zum ersten Mal die Nullgrad Grenze. Der Wechsel von Polartag zu Polarnacht kündigt sich an. In den Wintermonaten werden die Proben analysiert und erste Vorbereitungen getroffen. Denn nächstes Jahr soll es bereits im März losgehen – mitten im arktischen Winter.
(von manchen Ereignissen kann man wieder und wieder erzählen, beinahe wirken sie zeitlos, so wie dieses)
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