Brennnesselchips und Taubnesselbutter. Der Schulgarten ist ein besonderer Lernort in dem auch einmal etwas schief gehen darf, geschmacklich oder statisch. Ein Garten zum Lernen, Lehren, Leben.
Ein bisschen schmerzt es schon, wenn der Blick dieser Tage über den Schulgarten schweift - dieses Gartenjahr war besonders, in diesem Frühsommer
begann sich die Natur den Garten einzuverleiben und sie ließ nicht locker. Es staksen noch die Gerippe von Beifuß und Herzgespannt in Richtung Himmel, zu ihren Füßen schmiegen sich Erdbeere, Mangold und Vogelmiere. Letztere zeigt sich als erste im Frühling und bringt eine geballte Ladung an Vitamin C. Nur: die Vogelmiere blieb diesen Frühling unerkannt. Gartenprojekte waren in diesem Schuljahr "untersagt". In unseren Köpfen jedoch keimte und wuchs es weiter. Jetzt freuen wir uns auf den nächsten Frühling !
Kinderstube. Die Raupen des Großen Kohlweißling tummeln sich dieser Tage an den Kohlsprossen-Pflanzen. Im jungen Entwicklungsstadium leben sie gesellig.
Der Schulgarten ist seit jeher ein Ort des Lernens, Lehrens und Lebens wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. "1899 gab es in Österreich etwa 18.000 Schulgärten, die Österreichische Nationalbibliothek nennt über 65 Literaturangaben über den Schulgarten in dieser Zeit", schreibt Johann Pehofer in einem Essay über "Tradition und Perspektiven des Schulgartens in der Schule Österreichs und Europas". Was im Mittelalter nur den Mönchen und Nonnen vorbehalten war, das Erforschen von Pflanzen und ihren Wirkstoffen, wurde später eine Spielwiese für das Volk.
Wird dem Schulgarten heute das digitale Klassenzimmer zur Konkurrenz? Vielleicht gelingt es uns beides zusammenzuführen, sodass ein kraftvolles Lernfeld entstehen kann. Statt in Enzyklopädien zu blättern, surfen Jugendliche heute in Sekunden zu Daten und Tutorials. Wenngleich uns Apps dabei helfen in einem Augenblick Pflanzen und Käfer zu bestimmen, bleiben Kinderaugen beim Blick durch die Lupe auf das Raupennest hängen, das sich über die Kohlsprossen hermacht. Wir erinnern uns an Bilder von lila Kühen und Geschichten von Kinder, die Karotten nur aus dem Supermarkt kennen - es hat sich etwas bewegt in diesen Gärten. Der Philosoph Hans Jonas veröffentlichen 1979 ein grundlegendes Werk „Das Prinzip Hoffnung“ und schreibt:
„Die großen Widersprüche, die der Mensch in sich selbst entdeckt – Freiheit und Notwendigkeit, Ich und Welt, Beziehung und Vereinzelung, Schöpfertum und Sterblichkeit – haben ihre keimhaften Vorbildungen schon in den primitivsten Formen des Lebens." Hans Jonas (1979)
Der Schulgarten ist eine Welt in der Welt, in der sich wieder mehr Menschen trauen Schritte zu machen. Und Hans Jonas schreibt weiter: "Der Gewinn für das Verstehen des Organischen wird dann auch ein Gewinn für das Verstehen des Menschlichen sein.“ Das beobachten wir, das lehren wir, das wünschen wir uns auch weiterhin.
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