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Ein Honigbrot für mehr Umweltschutz ?


Kann "Schienenhonig" die Lösung für das Artensterben sein? Sind Wildbienen die besseren Bestäuber und wie können wir Menschen die Artenvielfalt unterstützen, dazu diskutierten Experten am "Institut für Botanik" der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Eine Zusammenschau.






Wer Auto fährt, kennt dieses Bild: Die Windschutzscheibe ist nach stundenlanger Fahrt auf der Schnellstraße immer noch sauber. Wo sind Fliegen, Mücken, Käfer geblieben? Jeden Tag sterben weltweit 150 Tier- und Pflanzenarten aus, berichtet der aktuelle Artenschutzreport. Ein Teil davon ist das Insektensterben.


Wie eine Studie aus Deutschland schon 2017 zeigte, nahm die Gesamtmasse der Insekten seit den 1990er Jahren um mehr als 75 Prozent ab. Der „Krefelder Studie“ sind inzwischen weitere wissenschaftliche Erhebungen gefolgt, die zu demselben Ergebnis kommen: das Artensterben schreitet voran. In Mitteleuropa wurden inzwischen zwischen 38 und 68 Prozent aller Arten in die Rote Liste aufgenommen. In der Schweiz sind bereits 10 Prozent aller Arten ausgestorben, auch in Tirol ist ein deutlicher Rückgang der Vielfalt zu beobachten. Nun sagen vielleicht manche, es wäre normal, dass Arten verschwinden während andere entstehen. Sterben Insekten aus, kommen auch wir Menschen in Bedrängnis.


Könnten uns andere Arten retten?

Jedes Insekt hat eine spezielle Rolle in unserem Ökosystem, vom Bestäuber bis hin zu einem Teil der Nahrungskette. Sabine Sladky-Meraner, Biologin und Mitarbeitern des Botanischen Gartens Innsbruck, sieht das Sterben der Wildbienen beispielgebend für die Bedrohung aller anderen Arten. „In Tirol kommen 400 verschiedene Wildbienen vor, sie unterscheiden sich in Größe, Farbe und Behaarung und leben in allen Lagen vom Tal bis ins Hochgebirge“, weiß die Tirolerin. „Die meisten Wildbienen sind Einzelgänger, sie legen ihre Brut in Röhren im Totholz, in abgestorbene Pflanzenstängel oder in Mäusenester. Werden diese Lebensräume zerstört, verlieren diese Wildbienenarten ihre Brutplätze.“


Nachwuchs in Bedrängnis. Verbauung der Landschaft und Ordnungseifer in Parks, Gärten und entlang von Waldwegen brächten den Nachwuchs der Wildbienen auch auf andere Weise in Bedrängnis. „Ein Drittel dieser Insekten sind auf Pollen von 1 bis 3 Pflanzenarten spezialisiert“, so Sladky-Meraner. Ein weiteres Drittel sei auf Pollen weniger Pflanzenarten spezialisiert und ein weiteres Drittel sei gar nicht spezialisiert. Sladky-Meraner: „Stirbt eine Pflanze aus, kann das in weiterer Folge zum Aussterben einer ganzen Art führen.“ Wildbienen sind in Österreich wichtige Bestäuber von Wildpflanzen und Kulturpflanzen und ein wichtiger Teil der Nahrungskette.




"Schienenhonig" als Teil der Lösung?

Es gebe bereits viele Initiativen und private Projekte zum Schutz der Bienen, sagt Sabine Sladky Meraner, wobei der Eindruck entstehe, deren Ziel sei der Schutz der Honigbiene. So traten etwa die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) heuer mit dem Projekt „Schienenhonig“ als Umweltschützer in Erscheinung und animieren seitdem ihre Gäste mehr Honig zu essen und damit die Umwelt zu schützen.


„Wenn man vom Artensterben spricht, wird oftmals nur die Honigbiene genannt“, stellt Timo Kopf, Biologe fest. „Das ist eine einzige Art. In Österreich haben wir 54.000 Tierarten,

45.000 davon sind Insekten, großteils Fluginsekten. Mindesten ein Drittel davon brauchen Nektar, damit sie überhaupt fliegen können.“ Die intensive Zucht der Honigbiene sei lobenswert, bringe jedoch neue Probleme, so Kopf: „Die Honigbiene frisst der Wildbiene den Nektar weg. In Österreich wird weit über 100.000 Liter Honig pro Jahr durch die Imkerei aus der Landschaft abgezogen, dieser Nektar fehlt dann den anderen Arten da draußen.“


Sollen sich Imker um das Futter ihrer Völker kümmern müssen?

„Imkerei ist eine legitime Art der Landwirtschaft, die dann zum Problem wird, wenn sich die Imker nicht um das Futter zu kümmern brauchen“, sagt Otto Leiner von der Abteilung Umweltschutz am Land Tirol. Eine neue Art der Landwirtschaft, die in den USA dazu führt dass Imker nur noch zur Blütezeit mit ihren Bienenstöcken bestimmte Gegenden

ansteuern um anschließend weiterzuziehen. Die Honigbiene sei kein verlässlicher Bestäubungspartner, so Otto Leiner, da sie anfällig sei. „Es sind jetzt schon zweiundzwanzig verschiedene Viren bekannt und auch die Zahl der Parasiten, die Honigbienen befallen, nimmt zu.“ Mit der Klimaerwärmung werde das Problem noch viel drastischer, ob in fünf Jahren die Honigbiene als Alleinbestäuber überhaupt noch einsetzbar sein wird? „Wenn zunehmend Umweltgifte im Honig stecken, brauchen wir die 10.000 Wildbestäuber.“



Ein Honigbrot macht also nicht mehr Naturschutz, sondern wirft weitere Probleme auf. Das Sterben der Wildbienen hat mehrere Ursachen, die Imkerei ist nur eine davon. Landschaftsveränderung, der Anbau von Monokulturen, der Verlust von Netzwerk an Blühflächen sowie der Ordnungseifer der Gärtner sind weitere.



Mit der Initiative „Natur im Garten“ reagiert das Land Tirol auf das Insektensterben. Seit 2014 berät Matthias Karadar und das Tiroler Bildungsforum private Gärtner und Gemeinden, wie sie ihren Garten naturnaher bewirtschaften können. 120 Quadratkilometer an Gärten und Parks hat Tirol, kleine Streifen auf Parkflächen sind darin nicht eingerechnet. „Das sieht kleine aus, aber umgelegt auf Dauersiedlungsraum sind das 10 Prozent Fläche. Mit 10 Prozent mehr Biodiversitätsfläche kann man mehr bewegen.“

Best practise. Gemeinden nehmen eine Vorbildfunktion ein und die Bevölkerung sieht an diesen Beispielen wie das aussehen kann. Rankweil in Vorarlberg ist so eine Gemeinde. Seit 2008 laufen hier naturnahe Begrünung und Einbindung der Bevölkerung parallel, wissenschaftlich begleitet. Umgebaut wurden in der Marktgemeinde in Vorarlberg fünf Flächen, innerhalb von drei Jahren siedelten sich hier 140 Wildbienenarten und 50 Prozent der Landesfauna an.

Mut zur Unordnung.

„Wir brauchen wieder mehr Pflanzen, die den Insekten Nahrung bieten und eine Struktur, die deren Wachstum fördert sowie Standorte für ihre Nester“, stellt Timo Kopf fest und ruft den Mut zur Unordnung aus. Wo Parks und Waldwege penibel mit Maschinen gepflegt werden, nehmen Insekten reiß aus.


Weil es die schlamperte Wiese braucht, damit unsere Landschaft bunt bleibt, hat sich aus dem Bundesland Niederösterreich das Projekt „Ordentlich schlampert“ entwickelt. Eine Gruppe von Menschen und Organisationen hat sich dafür zusammengetan, um konkret etwas gegen das Insektensterben zu unternehmen. In witzigen „Wirtshaus-Shows“ und Comic-Stripes sowie Schulworkshops arbeiten sie das Thema für alle Bevölkerungsgruppen

ansprechend auf.


Wissen schafft Handlungsspielräume. Insektenschutz wird im besten Fall zur Volksbewegung.


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